Der beispiellose Kriegseinsatz im Hochgebirge während des Ersten Weltkriegs setzt eine neue Beziehung zur alpinen Landschaft voraus. Einerseits wird die topografische Landschaft durch die Okkupation mit militärischen Infrastrukturen, die definitiv die Moderne in den Bergen einführen1Leoni, La guerra verticale, 2015. und in gewisser Weise die Besetzungsmethoden des Massentourismus vorwegnehmen neu gestaltet. Andererseits verändern sich die Wahrnehmungskategorien durch eine Neukodifizierung des Blicks, der mehrere Mittel zur Kommunikation und Darstellung der Landschaft in Aktion bringt.2Mosse, Le guerre mondiali, 2002.
Unter den heterogenen ikonografischen Quellen, die im Rahmen des Projekts entdeckt wurden, ist eine Reihe von Panoramabildern des italienischen und des österreichischen Militärs erwähnenswert. In ihnen wird das Genre des Alpenpanoramas, das im 19. Jahrhundert eine wichtige Rolle zwischen Wissenschaft, Alpinismus und Geologie hatte3De Rossi, La costruzione delle Alpi, 2014., in einer strategisch-militärischen Tonart dekliniert, dabei auf bestehende repräsentative Instrumente und Codes zurückgegriffen und deren visueller Status subtil verändert.
Das synthetische Bemühen um die Aneignung der Landschaft, das darauf abzielt, den gesamten Sichtbereich zu erfassen, begann in der Mitte des 18. Jahrhunderts mit den ersten wissenschaftlichen Erkundungen der Alpen, wurde im 19. Jahrhundert zu einem weit verbreiteten Genre der touristischen Darstellung und wird nun mit einer noch nie dagewesenen militärischen Landschaftskontrolle aufgeladen.4Bordini, Storia del panorama, 2006. Wie in der Amateurtradition, die mit der Praxis des Bergsteigens verbunden ist, sind die Ansichten aus dem Leben gegriffen5Garimoldi, L’immagine contesa, 2000. und gleichzeitig das Ergebnis des Wunsches, ein Gebiet mit nicht eindeutigen Bezügen zu verstehen und zu beherrschen, das sich von einem Objekt der Beobachtung, der Kontemplation oder der sportlich-touristischen Leidenschaft in einen umkämpften, geteilten, besetzten und militarisierten Raum verwandelt.
Neben den Gesamtübersichten der verschiedenen Kampfabschnitte, die von der kartographischen Abteilung des italienischen Heeres erstellt wurden und die die topographischen Qualitäten der Landschaft präzise wiedergeben6Siehe beispielsweise die Panoramen der kartographischen Sektion des 4. Armeekorps des italienischen Heeres. AUSSME_B1_110D_23A_monografie_1corpod'armata044., erlauben schnell ausgeführte Panoramaskizzen, einen Blick sowohl in der Draufsicht als auch in der Höhe. In diesen werden die Positionen des Feindes und der Armee, die Frontlinien, die Verbindungen usw. mit bekannten Zeichen vermerkt.
Einige der im Kriegsarchiv in Wien aufbewahrten Panoramen weisen eine bemerkenswerte grafische Qualität auf.7NFA Kt.3321 Art.Kdo.d.21.Geb.Brig. Panorama 3 Zinnen; NFA Kt.3321 Art.Kdo.d.21.Geb.Brig. Panorama von Moritz Steiner Blatt 134. Die Silhouette der Sextener Dolomiten mit der Drei Zinnen-Gruppe im Zentrum hebt sich in betont horizontal verlaufender Komposition vom Himmelshintergrund ab, während die Topographie wirkungsvoll in linearer Stilisierung wiedergegeben wird. Die erste Ebene der Naturlandschaft wird durch ein Geflecht von Linien, Punkten und topografischen Angaben der militärischen Stellungen überlagert, die das komplexe Infrastrukturnetz, das den Prozess der militärischen Besetzung die die topografischen Daten überlagerte, gut darstellen.
Von großem Interesse sind schließlich Bleistiftskizzen des Innsbrucker Historikers Richard Heuberger, die nach der Natur ausgeführt, mit schriftlichen Kommentaren und Bildunterschriften versehen sind.8Nachlass Richard Heuberger_TLMF_NL_260_6_Skizzen 1915-1916.
Archivio dell’Ufficio Storico dello Stato Maggiore dell’Esercito, Roma, Monografie del I Corpo d’Armata – Genio – Sistemazione difensiva.
Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Nachlass Richard Heuberger, Skizzen 1915-1916.
Kriegsarchiv Wien, NFA Kt.3321 Art.Kdo.d.21.Geb.Brig.
Bordini, Silvia (2006). Storia del panorama. Roma: Nuova Cultura.
De Rossi, Antonio (2014). La costruzione delle Alpi: Immagini e scenari del pittoresco alpino (1773-1914). Roma: Donzelli.
Garimoldi, Giuseppe (2000). L’immagine contesa. L’iconografia alpina fra belle arti e fotografia, in Le cattedrali della Terra. La rappresentazione delle Alpi in Italia e in Europa 1848-1918. Milano: Electa, 118-124.
Leoni, Diego (2015). La guerra verticale: Uomini, animali e macchine sul fronte di montagna, 1915-1918. Torino: Einaudi.
Mosse, George L. (2002). Le guerre mondiali: Dalla tragedia al mito dei caduti. Roma-Bari: Laterza.
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