Ein Historiker im Krieg
Das einseitige und propagandistische Bild von jubelnden Menschenmassen, die auf den Kriegsausbruch begeistert reagierten und von jungen Männern, die in Scharen freiwillig zu den Rekrutierungsstellen des Militärs zogen, wurde in der Geschichtswissenschaft schon längst revidiert; die Reaktionen auf den Kriegsbeginn werden mittlerweile deutlich differenzierter dargestellt. Eine national-patriotische Zustimmung zum Krieg erfasste demnach in vergleichsweise größerem Maße die bürgerlichen und akademischen Kreise als etwa die Landbevölkerung.
Einem solchen Enthusiasmus für den Kriegsausbruch konnte sich auch der Innsbrucker Althistoriker Richard Heuberger (1884–1968) nicht entziehen. 1914 meldete er sich nach der allgemeinen Mobilisierung freiwillig, wurde jedoch aufgrund einer Sehschwäche als „untauglich“ für den aktiven Dienst an der Waffe eingestuft. Der dringende Wunsch, sich doch noch für sein Vaterland militärisch einzusetzen, brachte ihn im August 1914 als Rekruten zum Landsturm in Innsbruck, wo er zunächst nur für Bewachungsaufgaben eingesetzt wurde. Doch bald verflog seine Begeisterung für diesen zutiefst unbefriedigenden und „sinnlosen“ Dienst und er kehrte wieder in sein Zivilleben zurück.
Erst mit dem seit Längerem erwarteten Kriegseintritt Italiens im Frühjahr 1915 meldete sich Heuberger wieder freiwillig zu den Standschützen. Er schloss sich der „Akademischen Legion“ des Standschützen Baon Innsbruck I an, in der sich Studenten und Professoren der Universität einfanden. Als Zugsführer in der 3. Kompagnie kam er am Tag der Kriegserklärung Italiens, dem 23. Mai 1915, in Sexten an, wo er bis zum 10. Juni im Barackenlager bei Bad Moos blieb und dann zum Dienst in die Festung Mitterberg eingeteilt wurde. Er konnte es kaum erwarten, endlich in die Schützengräben und an die Front zu kommen, wie er in einem Brief vom 2. Juli 1915 berichtete: „Ich beneide die Kameraden glühend, die vorn liegen. Sie haben Fühlung mit dem Feind, sind schon mehrfach beschossen worden und machen stets Patrouillengänge. Wir aber sind jetzt ganz aus der Front gekommen und hören nur das Krachen unserer weiter vorn stehenden Batterien. Man schämt sich, ein so bequemes Leben zu haben, wenn draußen die Kameraden im Kampf stehen.“1Feldpostbrief, 2.7.1915, in: Klub-Nachrichten des Akademischen Alpen-Klub Innsbruck, Nr. 65 (Kriegsnachrichten Nr. 13), S. 9.
Nach einem Einsatz beim Alpinen Streifkommando im Travenanzestal und der Tofana di Rozes, kehrte er im Februar 1916 zum Standschützen Baon Innsbruck I zurück, das im März als Ablösung des X. Marschbataillons des Infanterieregimentes Nr. 59 „Erzherzog Rainer“ auf den Kampfabschnitt Zinnenhochfläche verlegt wurde. Heubergers Kompagnie bezog die Stellungen am Fuße und westlich des Toblinger Knotens, im Unterstand „Lungauer Hütte“.
Von den italienischen Stellungen nur wenige hundert Meter entfernt, waren Heuberger und seine Kameraden täglichem Granatenbeschuss ausgesetzt. Heuberger selbst meldete sich öfters freiwillig zu gefährlichen und abenteuerlichen nächtlichen Patrouillen- und Erkundungsgängen, welche ihm die Anerkennung seiner Vorgesetzten und die Beförderung zum Oberjäger sicherten. Von seinem Kriegseinsatz, den Vorstellungen von soldatischem Heldenmut und Opferbereitschaft war Heuberger bis zuletzt, trotz aller Gefahren, vollends überzeugt.
Im Oktober 1916 wurde Heuberger aufgrund seiner sich stetig verschlechternder Gesundheit – u. a. litt er unter starken Augenproblemen, die eine fast vollständige Erblindung nach sich zogen – aus dem Kriegsdienst entlassen. Für ihn war der Krieg somit vorbei, doch erinnerte er sich noch lange danach in Tagebuchaufzeichnungen und Skizzen an diese Zeit.
Kofler, Harald (2018). Richard Heuberger (1884 – 1968). Historiker Zwischen Politik Und Wissenschaft. Innsbruck: Universitätsverlag Wagner.
Feldpostbrief, 2. Juli 1915, in: Klub-Nachrichten des Akademischen Alpen-Klub Innsbruck, Nr. 65 (Kriegsnachrichten Nr. 13), S. 9.
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