Nach zwei Jahren Evakuierung drängten viele Bauern im Frühsommer 1917, nicht zuletzt wegen der steigenden Hungersnot, darauf, wieder in das Tal zurückkehren zu dürfen. Im Juni 1917 erhielten schließlich zwölf Familien am Berg die Genehmigung, die Felder zu bearbeiten. In einer Waldschlucht errichteten die Bauern an einem großen Felsblock eine schlichte Holzkapelle, die sog. Waldkapelle.
Anfang November 1917 zogen die Italiener von der Sextner Front ab. An eine Rückkehr ins Dorf während des Winters war allerdings nicht zu denken. Kaum ein Haus war bewohnbar. Außerdem fehlte es an Nahrungsmitteln für die Menschen und an Futter für das Vieh. Die Kriegsschäden waren enorm.
Im März 1918 kehrten die ersten Kriegsflüchtlinge in ihre Heimat zurück. Sie reparierten notdürftig Gebäude und richteten die „Spritzenhütte“ der Feuerwehr als Notkirche ein. Die Schulklassen wurden im Schießstand und im Sennerei-Gebäude untergebracht.
Eine weitere harte Bewährungsprobe erwartete die Sextner bei Kriegsende im November 1918. Hunderte von Soldaten der Habsburgermonarchie zogen auf ihrem Rückzug von der Front durch Sexten. Sie raubten Vieh, Heu und Kartoffeln, plünderten Häuser und brannten Feldzäune nieder. Gewöhnungsbedürftig war für die Sextner auch die Präsenz von italienischen Carabinieri anstelle der österreichischen Gendarmen.
Die folgenden Aussagen sind den Interviews mit Sextnerinnen und Sextnern, die im Rahmen des Projektes geführt wurden, entnommen.
Paula Egarter: „Die Rückkehr erfolgte erst 1918, aber das war sehr schlimm. Der ganze Hof war ausgeplündert. Die Soldaten haben sogar das Getäfel von den Wänden genommen, um Feuer zu machen. Alles, was irgendwie für die Stellungen an der Front brauchbar war, ist mitgenommen worden.“1Gespräch mit Susanne Elsen und Alexandra Budabin, 16.7.2021, Sexten.
Georg (Jörg) Lanzinger: „1917 war dann der Krieg an der Dolomitenfront aus und Weihnachten 1917 wollte Oma zurückkehren. Doch das ist nicht erlaubt worden. Daraufhin ist sie beim Gemeindevorsteher vorstellig geworden. Da wurde ihr gesagt: „Ja, Kathl, wie stellt du dir das vor? Da gibt’s keine Chance, im Winter schon zurückzukehren.“ Sie ist fast ausgelacht worden. Doch meine Oma war couragiert und hat ans Festungskommando geschrieben. Tatsächlich hat sie dann die Erlaubnis bekommen: Ihrer brieflichen Bitte vom 20.1.1918 ist unter der Bedingung, dass Sie die Sperre im Fall des Bedarfs sofort wieder verlässt, stattgegeben worden.“2Gespräch mit Thomas Benedikter, 8.7.2021, Sexten.
Rudolf Holzer: „Zum einen waren an die 40 Häuser zerstört, zum anderen war alles ausgeplündert, die Böden herausgerissen, Herde in die Stellungen an der Front getragen worden, Kupferkessel hatte man mitgehen lassen. Ich weiß nicht, ob jemals dafür vom Militär Schadenersatz geleistet worden ist. Schon 1916 brachte der Bürgermeister ein Memorandum dazu heraus. Warum haben die Soldaten geplündert? Das ist geduldet worden, Häuser standen leer, und die Soldaten haben sich bedient. ‚Mein Großvater war in Sexten als Soldat‘, sagte mir einmal die Nachfahrin eines Soldaten aus Tirol, ‚und hat dort Urkunden gerettet.‘ Das Militär brauchte Holz für die Unterstände, riss die Böden aus den Höfen heraus, nahm das Getäfel mit und viele Gebrauchsgegenstände. In den Wäldern wurde viel Holz geschlägert, vor allem, um Holzkohle zu brennen. Der Pfarrer schrieb damals: ‚Ich weiß nicht, wer den größeren Schaden angerichtet hat: die Italiener durch den Beschuss oder die Österreicher durch die Plünderungen.‘ Man muss bedenken: Ganz Sexten war zweieinhalb Jahre evakuiert. Zunächst wollte das Militär die Sextner nach Katzenau in Oberösterreich verfrachten. Das haben die Sextner abgelehnt.“3Gespräch mit Thomas Benedikter, 29.4.2021, Sexten.