Nach ihrer Rückkehr nach Sexten im Frühjahr 1918 lebten die Familien zunächst sehr beengt in den wenigen nur notdürftig bewohnbaren Häusern. Die Lage war trostlos, es fehlte an allem. Die versprochenen Arbeitskräfte und Fuhrwerke blieben aus und die Menschen litten Hunger. Nach langem Bitten und Betteln wurde Saatgut geliefert; angesichts der großen Not rief man noch im Sommer 1918 erste Hilfsaktionen ins Leben. In allen Lokalzeitungen Tirols und in den großen Wiener Tageszeitungen war die Evakuierung und die Zerstörung Sextens in erschütternden Berichten geschildert worden. Durch die verschiedenen Hilfsaktionen konnte die ärgste Not etwas gelindert werden. Durch die verworrene politische Lage wurden die Hilfsaktionen ab 1919 allerdings teilweise lahmgelegt.
Der Wiederaufbau des weitgehend zerstörten Dorfes gestaltete sich äußerst schwierig. Der neue Gemeindevorsteher Johann Watschinger koordinierte mit der österreichischen Bauleitung unter Ing. Franz Wiesenberg bis Mai 1918 die erste Phase des Wiederaufbaus. Bis zum Herbst 1919 ging dieser nur schleppend voran. Im September 1919 wurde die österreichische Bauleitung durch eine italienische unter Ing. Walch ersetzt. Nach der Annexion Südtirols im Oktober 1920 förderte Italien in großzügiger Weise den Wiederaufbau, lastete die Zahlungen jedoch im Rahmen der Reparationsforderungen Österreich an. Bis zum Herbst 1923 wurden in Sexten und Moos etwa 40 neue Häuser errichtet sowie öffentliche Gebäude und die Kirche wiederhergestellt. Mit einem dreitägigen Dank- und Weihefest Ende Oktober 1923 wurde der Abschluss des Wiederaufbaus gefeiert.
Die folgenden Aussagen sind den Interviews mit Sextnerinnen und Sextnern, die im Rahmen des Projektes geführt wurden entnommen.
Rudolf Holzer: „Dann kommt die Bevölkerung zurück. Die Häuser sind in drei Kategorien eingeteilt worden: bewohnbare Häuser, beschädigte aber reparierfähige Häuser, komplett zerstörte Häuser. Zunächst mussten die Leute selber schauen, wo sie unterkommen können. Der Wiederaufbau begann also mit den genannten drei Gruppen. Dann kam es aber zu Meinungsverschiedenheiten in der Bevölkerung und man war mit Bürgermeister Watschinger auch nicht immer zufrieden.
Nur drei Familien kamen nicht mehr zurück und blieben auswärts. Mein Vater und mein Bruder machten sich nach der Rückkehr gleich an den Wiederaufbau; das Haus musste hergerichtet werden.“
„Ich habe eine Liste über die Spenden, die bis 1924 für Sexten geflossen sind. Sexten hatte damals rund 1300 Einwohner. 40 Häuser waren komplett zerstört, viele Häuser waren vom Militär ausgenommen worden. Die Mehrzahl der Häuser, vor allem am Berg war noch intakt. Vom August 1915 bis Anfang 1918, das sind zweieinhalb Jahre, standen die Häuser leer.“1Gespräch mit Thomas Benedikter, 29.4.2021, Sexten.
Paula Egarter: „Da waren einige rührige Männer, die sich um den Wiederaufbau gekümmert haben, wie z.B. der Hans Watschinger, der später das Hotel Drei Zinnen gebaut hat. Er war Bürgermeister und hat sich sehr für die Finanzierung des Wiederaufbaus eingesetzt. Auch um die Lebensmittelversorgung haben sich einige rührige Männer gekümmert. Wenn wir Kinder später irgendetwas nicht essen wollten, hat meine Mutter immer gesagt: Jetzt muss wohl wieder ein Krieg kommen.
Es hat Gelder für den Wiederaufbau gegeben. Zuerst haben auch die Österreicher geholfen. Dann hat der italienische Staat jenen Familien, die einen Schaden erlitten haben, Gelder zugewiesen. Mein Schwiegervater hat damals Kalk für den Häuserbau geliefert. Er war Kalkbrenner und auch sein Hof hieß so. Sie haben Steine vom Kreuzbergpass heruntergeholt, haben den Kalk gebrannt. Er war aktiv beim Wiederaufbau beteiligt. Er hat dort, wo das alte Elternhaus stand, ein neues Haus gebaut.“2Gespräch mit Susanne Elsen und Alexandra Budabin, 16.7.2021, Sexten.