Die Sextner Dolomiten zogen im Zuge der alpinen und touristischen Erschließung lange vor dem Krieg die Aufmerksamkeit von Malern, Graphikern und zunehmend von Fotographen auf sich. In besonderem Maße waren die Drei Zinnen jenes Motiv, das nach der Mitte des 19. Jahrhunderts in Reiseillustrationen und auf Postkarten immer häufiger in den Blick genommen und nach der Erstbesteigung der Großen Zinne 1859 zum wohl beliebtesten Motiv des Dolomitengebietes wurde sowie europaweite Verbreitung fand. Die klassische Nordansicht avanciert zum bevorzugten Blick und im Krieg wurden die Zinnen als armierte, wehrhafte Stellung und Grenze zwischen dem österreichischen Tirol und Italien mit neuer Bedeutung aufgeladen.1Siehe dazu Holzer, Die Bewaffnung des Auges.
Obwohl lediglich ein Nebenschauplatz des Krieges, erhielt die Dolomitenfront, befördert durch den Mythos des Gebirgskrieges eine größere mediale und bildliche Aufmerksamkeit als andere Gebiete.
Touristisch bereits bekannte Bergmotive und panoramische Landschaften dienten als Hintergrund militärisch-heroisierender Bildpropaganda und hatten auch in den Erinnerungsdebatten nach dem Krieg ein langes Nachleben. Der italienische Faschismus bediente sich der Kriegsaufnahmen in den Hochgebirgslandschaften der Dolomiten und der Ortlerfront als Beweis des Sieges über Österreich und der Legitimation des Anschlusses der Grenzregion Südtirols an Italien und besetzte die Gebirgslandschaft mit Gedenkstätten, italienischen Namen bestehender sowie neuer Schutzhütten, – wie beispielsweise die Locatelli Hütte (ehem. Dreizinnenhütte) – und neuen Flur- sowie Ortsnamen. Für die konservative österreichische und deutsche sowie die populärwissenschaftliche Geschichtsschreibung, die Literatur und den Film der Zwischenkriegszeit standen die Dolomiten bei deutlich pathetischer Überhöhung für die Konstruktion des Narrativs vom heldenhaften Krieg in Fels und Eis und wurden zum Symbol gleichsam der Wehrhaftigkeit wie des Verlustes.2Zur Auswahl und Deutung von Kriegsfotographien in deutschen und österreichischen Fotobänden der Zwischenkriegszeit siehe Holzer, Den Krieg sehen, S. 62-24.
Die fotographische Bildproduktion steigerte sich in den Kriegsjahren wie in allen Kriegsgebieten auch an der von 1915-1917 dauernden Dolomitenfront zahlenmäßig enorm und entwickelte sich technisch weiter. Neben den, vom Militär vor allem zu Aufklärungs-, Dokumentations- und Propagandazwecken beauftragten professionellen Fotographien und den Pressebildern, entstanden Amateuraufnahmen von Soldaten und Beobachtern.
Militär und Medien verbanden sich zunehmend enger und wurden Teil einer weit verbreiteten systematischen Propaganda. Waren zu Beginn des Krieges noch Maler und Zeichner für die Dokumentation der Front im Einsatz, wie beispielsweise die Bozner Malerbrüder Albert und Rudolf Stolz, die 1915 mit dem Standschützenbataillon Bozen an die Front oberhalb von Riva am Gardasee zogen und ein gemaltes Tagebuch anfertigten oder der Mailänder Lodovico Pogliaghi an der italienischen Drei-Zinnenfront, wurde die Fotographie im Laufe des Krieges zum bedeutendsten Bild- und Propagandamedium und verdrängte andere Bilddokumente.
Der Fotograph war in die militärische Organisation und Logistik eingebunden und hatte deren Wegen zu folgen; unabhängig davon konnte er sich schon aufgrund des Gewichtes der Ausrüstung nicht allein bewegen.3Holzer, Den Krieg sehen, S. 10.
Fotographien sowohl der italienischen als auch der österreichischen Sextner Dolomitenfront befinden sich in den nationalen, lokalen Archiven und privaten Sammlungsbeständen und hatten weitgehend dieselben Funktionen. Es handelt sich einerseits um panoramatische, zunehmend präziser und technisch entwickelter werdende Aufklärungsfotografien aus der Luft, von höhergelegenen geschützten Standorten oder mit der Fernkamera aus aufgenommen, die im Unterschied zu den malerischen touristischen oder wissenschaftlichen Bergpanoramen ausschließlich der bis ins kleinste Detail präzisen militärischen Auskundschaftung und der Armierung der Landschaft dienten und häufig in gezeichnete Karten mit den eingetragenen militärischen Infrastrukturen des Feindes übertragen wurden. Andererseits waren es ab 1916 zunehmend inszenierte und arrangierte Bilder, die nach Auswahl und mehrfacher Zensur in der illustrierten Presse Verbreitung fanden oder in den Archiven abgelegt wurden.
Die große Zahl an privaten Soldatenaufnahmen hatten keine öffentliche Funktion, sondern lichteten vorwiegend Kameraden, Unterkünfte und gesellige Szenen ab.
Die erhaltenen Bilder nahmen die Gebirgslandschaft vorzugsweise im Winter ohne und mit militärischen Infrastrukturen wie Unterkunftsbaracken, Schneegalerien, Laufgräben, Geschützstellungen, Scheinwerfer und Seilbahnen, – letztere hatten als Transportmittel eine besondere Aufmerksamkeit -, gelegentlich inszenierte Kampfszenen aber auch den Alltag der Soldaten in den Baracken, Feldmessen, Feierlichkeiten, Arbeitseinsätze und Verhöre der Kriegsgefangenen in den Blick. Auffallend häufig hatte die Kamera dieselbe geschützte Blickrichtung wie die Waffen aus den Schützengräben, den Deckungen, Kavernen oder aus großer Höhe. Reale Kämpfe wurden nicht oder kaum fotografiert.
Der Kriegsalltag der Zivilbevölkerung an der Heimatfront in den Tälern war von geringerem Interesse, wohl aber wurden die Zerstörungen des Ortes Sexten, einzelner Bauten in Toblach und in Schluderbach dokumentiert. Vor allem das durch italienischen Beschuss zerstörte Sexten, bei dem auch zivile Opfer zu beklagen waren mit den Ruinen der Kirche, von Gasthöfen und Bauernhäusern findet sich mit deutlich propagandistischer Absicht in Zeitungen und sogar auf Postkarten.
Die Fotographen blieben, von wenigen Ausnahmen abgesehen, meistens namenlos und wurden erst durch jüngere Forschungen wieder namentlich bekannt.
Dokumentationsfotografie der Kriegsstrukturen 2021-2022
Die Dokumentationsaufnahmen der verbliebenen Spuren und Infrastrukturen des Krieges am Dreizinnen-Plateau mittels Drohnen durch das im Forschungsprojekt beauftragten Arc-Team nahmen im Sommer 2021/22 mehr als 100 Jahre später den Über-Blick der Aufklärungsfotografie auf. In der digitalen mehrdimensionalen graphischen Umsetzung zeigen sie die infrastrukturelle Aufrüstung der Landschaft beider Fronten in lesbaren, mit Zeichen versehenen panoramaartigen sogar tiefenräumlichen Abfolgen und Karten.4Siehe dazu die Dokumentation von Arc-Team/Rupert Gietl und Gianluca Fondriest im Rahmen des Projektes „In die Landschaft eingeschrieben. Orte, Spuren, Erinnerungen. Der Erste Weltkrieg in den Sextener Dolomiten“. Eine technische Entwicklung, die mit der Aufklärungsfotografie des Ersten Weltkrieges, deren militärischer Entschlüsselung und Umzeichnung begann. Italienische und österreichische Kriegspanoramen und Karten der Sextener Dolomiten stehen beispielhaft dafür am Beginn.
Anton Trixl und Hans Opfergeld. Zwei Fotographen an der Sextener Dolomitenfront
Anton Trixl (1878-1954) im Januar 1915 zum Landsturm eingezogen und der Baudirektion zugeteilt, war für den Bau von Befestigungsanlagen und die Organisation des Nachschubs an der österreichisch-ungarischen Front in den Dolomiten verantwortlich. Zunächst am Karnischen Kamm und im Gebiet des Col di Lana eingesetzt, übernahm er bis Kriegsende das Kommando über das Schanzzeugdepot Lanziger Säge bei Sexten.5Zu Anton Trixl siehe Kofler, Wurzer, Sepp Innerkofler und die Entstehung eines Mythos, S. 122-129. Als offizieller Kriegsfotograf dokumentierte er die Kriegsinfrastruktur und das Alltagsleben der Soldaten an der österreichisch-ungarischen Front. Er leitete und fotografierte im August 1918 die Exhumierung, den Transport und die Beisetzung der sterblichen Überreste des 1915 am Paternkofel gefallenen Sepp Innerkofler und trug damit zur Entstehung des Heldenmythos‘ um Innerkofler und des Dolomitenkrieges wesentlich bei. Von ihm stammt das ikonische Bild des Leichenzugs vor den Drei-Zinnen, die hier einmal mehr zum landschaftlichen Symbol des Widerstandes gegen den von Süden kommenden italienischen Feind sowie des Opfertodes Innerkoflers wurden.6Kofler, Wurzer, Sepp Innerkofler und die Entstehung eines Mythos, S. 122-129.
Hans Opfergeld (Salzburg 1886-1962) war nach seiner Ausbildung in mehreren deutschen Städten, darunter in Bremen als Fotograf tätig. In den Jahren 1916-1917 verbrachte er zumindest einen Sommer, einen Winter und den Jahreswechsel in Bad Altprags, unternahm Exkursionen an die Dolomitenfront zwischen Monte Piano, Plätzwiese, Schwalbenkofl, Drei-Zinnen-Gebiet, Schönleiten, Forame und ins Gemärk. Er fotografierte Kriegsinfrastrukturen wie Lager, Geschützstände, Schützengräben, Seilbahnen, wohl weitab von den Kampfplätzen inszenierte Feuerungen von Haubitzen und Mörsern sowie die zerstörten Gebäude in Landro, Schluderbach und in Neu-Toblach. 1928 eröffnete er ein Fotoatelier in Salzburg (Wolf-Dietrichstrasse) hielt Vorträge zum Dolomitenkrieg und befasste sich weiterhin mit Bergfotografie. Nach seinem Tod wurde das Atelier aufgelassen, der Nachlass ist verschollen. Leider konnten bisher keine weiteren biographischen Hinweise gefunden werden.
Als Kriegs- oder offizieller Pressefotograf des k.k. Kriegspressequartiers ist er zwar nicht nachweisbar, die Aufnahmen von zwei Fotoalben in Südtiroler Privatbesitz legen jedoch nahe, dass er einen offiziellen Auftrag hatte. Ansonsten hätte er sich wohl kaum derart privilegiert, in sicherer Distanz von den Kämpfen im Quartier der Offiziere in Bad Altprags aufgehalten und mit Sicherheit von den jeweiligen Kommandanten unterstützt, zahlreiche Bilder der Front angefertigt. Beide Alben sind zudem mit „Dolomiten-Front 1916 – 1917. Aufgenommen von Hans Opfergeld aus Bremen.“ bezeichnet. Die Sammlung erlaubt erstmals die Zuweisung bislang unbekannter Front- und Landschaftsaufnahmen an ihn als Autor.7Die bei Holzer 1996, S. 74, abgebildete Aufnahme ist keinem Autor zugewiesen, ebenfalls nicht in Casagranda, Rizzo 2010, ist jedoch eindeutig Hans Opfergeld zuzuweisen und identisch mit dem handschriftlich bezeichneten Foto „Vom Schwalbenjöchl gegen Drei Zinnen“ im Album. Dasselbe gilt für das Bild bei Holzer 1996, S. 76, welche im Album mit „Artill. Beobachter Schwalbenalpenkopf gegen Drei Zinnen“ beschriftet ist.
Er dokumentierte sowohl die Infrastrukturen an der Front, häufig mit derselben Kameraeinstellung im Sommer und im Winter, wobei die Winteraufnahmen überwiegen und er sich selber mit den Kommandanten vor der Kulisse der Drei Zinnen und in Schneetunnels ablichtete, – sein Schnurrbart und eine doppelte krumme Spielhahnfeder am Hut lassen ihn gut erkennen -, als auch den Aufenthalt der Kommandanten in deren Kreisen er sich bewegte und untergebracht war im Bad Altprags. Gesellige Szenen, wie die Silvesterfeier 1916/17 oder in metertiefem Schnee mit Offizieren, stehen neben offiziellen Gruppenbildern. Die Qualität der zahlreichen, auch panoramischen Landschaftsaufnahmen ist sowohl technisch als auch in der Bildwahl hoch. Opfergeld nahm Landschaft auch ohne militärische Infrastrukturen in den Blick und schuf herausragende Bergfotografien.
Abgesehen von wenigen Ausnahmen sind die Frontaufnahmen inszeniert, gut komponiert und keine spontanen Bilder. In einem der Alben befindet sich sein Fotoporträt mit Signatur „Hans Opfergeld März 1917“. Die Abzüge sind handschriftlich bezeichnet und manchmal datiert.
Fotoalben Hans Opfergeld, Privatbesitz Südtirol.
Tiroler Archiv für photographische Dokumentation und Kunst (TAP), Lienz-Bruneck.
Casagranda, Maurizio und Salvatore Rizzo (2010). Dal Garda alle Dolomiti. Alpinismo, viaggi, guerra e lavoro nelle montagne del Trentino Alto Adige e dei territori confinanti di Veneto e Lombardia: itinerario fotografico. Torino: Museo nazionale della montagna / Trento: Studio Bibliografico Adige.
Holzer, Anton (1996). Die Bewaffnung des Auges. Die Drei Zinnen oder Eine kleine Geschichte vom Blick auf das Gebirge. Wien: Turia + Kant.
Holzer, Anton (2003). Den Krieg sehen. Zur Bildgeschichtsschreibung des Ersten Weltkriegs. In Anton Holzer (Hrsg.), Mit der Kamera bewaffnet. Krieg und Fotografie. Marburg: Jonas, S. 57-70.
Holzer, Anton (2007). Die Andere Front. Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg. Darmstadt: Primus Verlag.
Kofler, Martin, und Wurzer Markus (2014). Sepp Innerkofler und die Entstehung eines Mythos. In Martin Kofler (Hrsg.), Grenzgang. Das Pustertal und der Krieg 1914-1918. Innsbruck-Wien: Haymon, S. 122-129.
Museo Rudolf Stolz Museum (2011). Tagebuch 1915-1916. Sexten: Eigenverlag.
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