Die meisten Sextner Familien mussten selbst eine Unterkunft finden, weil die Heeresleitung auf die Evakuierung des Dorfes und die entsprechenden Folgen nicht vorbereitet war. Es gab keine Sammellager für die Sextner. Die meisten Familien haben in den umliegenden Pustertaler Gemeinden bei Bekannten oder Verwandten Aufnahme gefunden. Sexten hatte im Jahre 1915 1300 Einwohner. Die meisten Männer waren an der Front, rund 1000 Personen mussten evakuiert werden. Die Evakuierten erhielten eine geringe finanzielle Flüchtlingshilfe. Sie mussten auf den Höfen der gastgebenden Familien mithelfen und hatten eine entbehrungsreiche Zeit durchzustehen. Die Kinder konnten oft keine Schule besuchen. Die Ernte auf den Feldern in Sexten der Jahre 1915, 1916 und 1917 wurde von den Truppen notdürftig mithilfe von Gefangenen eingebracht. Erhielten die Bauern 1915 und 1916 noch eine Entschädigung, fiel diese 1917 aus. Im Sommer 1917 wurden in Moos erneut einige Häuser in Brand geschossen.
Die folgenden Aussagen sind den Interviews mit Sextnerinnen und Sextnern, die im Rahmen des Projektes geführt wurden, entnommen.
Paula Egarter: „Der Freund meines Vaters hat dafür gesorgt, dass meine Mutter mit den Kindern gleich eine Wohnung gefunden hat. Natürlich haben sie Not gelitten, aber wir sind freundlich aufgenommen worden. Sie konnten ja nur das Allernotwendigste mitnehmen. Die Mutter hatte mit den acht kleinen Kindern alle Hände voll zu tun.“1Gespräch mit Susanne Elsen und Alexandra Budabin, 16.7.2021, Sexten.
Georg (Jörg) Lanzinger: „Die Familie dort hat auch nur einen Hof gehabt mit 5-6 Kindern. Alle wollten versorgt werden. 1916 und 1917 gab es Hungersnot. Die Großmutter hat oft darauf gedrängt, nach Sexten zurückzukehren, um etwas anzubauen und eine Kuh zu halten, um etwas zum Essen zu haben. Die Gemeindeverwaltung von Sexten war in Innichen angesiedelt.“2Gespräch mit Thomas Benedikter, 8.7.2021, Sexten.
Albert Tschurtschenthaler: „Gewisse Familien haben sich gar nicht gewehrt. Alte Jäger haben ab und zu etwas Wild zu Hause gehabt. Aber einige Familien hatten keinen Zugang zu Lebensmitteln. Eine Verwandte der Großmutter ist in der letzten Kriegszeit an Hunger gestorben. Die haben sich einfach nicht wehren können. Die Bauern sind damals zwangsverpflichtet worden, das Heer zu versorgen. Auch im Zweiten Weltkrieg mussten sie Kälber stellen, Wolle und Geld abgeben. Die Felder sind auch durch den Beschuss beschädigt worden, Schützengräben sind quer durchs Dorf gegraben worden. Es gab die Verteidigungslinie zwischen den Sperren Haideck und Mitterberg. Wälder sind abgehackt worden.“3Gespräch mit Thomas Benedikter, 17.6.2021, Sexten.
Rudolf Holzer: „Die Frauen haben mitgeholfen, sie mussten die Männer ersetzen. Dann gab es auch Kriegsgefangene, denn Österreich hatte 2 Millionen davon. Man setzte sie hinter der Front ein. Das waren vor allem Galizier. Es gibt noch ein Verzeichnis der Kriegsgefangenen in Sexten. Das Verhältnis zu ihnen war relativ gut. Die Russen waren, abgesehen von einigen Ausnahmen, fleißig. 1917 fing die Hungersnot an, deshalb wurde im Sommer 1917 die Waldkapelle gebaut. Die Bauern am Außerberg durften zurück um ihre Felder zu bearbeiten. Die Brotpreise stiegen laufend. Auch andere Lebensmittel wurden teurer. Ungarn hatte schon bei Kriegsbeginn die Ausfuhr von Weizen gesperrt. So fehlte auch in Österreich das Getreide. Deshalb wurde dem Brotteig öfter Kleie, Rosskastanienmehl und dann sogar Sägemehl beigemischt. Es gab in Tirol erhebliche Versorgungsengpässe bei der Zivilbevölkerung, genauso wie bei den Soldaten. Alle Bestimmungen zur Abgabe von landwirtschaftlichen Produkten galten nicht für Sexten, weil die Bevölkerung evakuiert war. Die Pflicht, Getreide, Milch und Heu abzugeben, war für die Sextner entfallen.“4Gespräch mit Thomas Benedikter, 29.4.2021, Sexten.
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Graphische Karte, die den Aufenthalt der Flüchtlinge aus Sexten während des Krieges zeigt.