Das Fokusgruppengespräch Das Fokusgruppengespräch

Die Fokusgruppe zum Ersten Weltkrieg in Sexten

Eine Fokusgruppe zum Thema „Erinnerungskultur an den Ersten Weltkrieg in Sexten“ fand am 20. November 2021 in Sexten mit fünf Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus Sexten und Innichen sowie mit den Projektmitarbeiterinnen und -mitarbeitern statt und wurde anschließend ausgewertet. Die Diskussion wurde von Prof. Susanne Elsen (unibz) moderiert.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Sexten und Innichen berichteten über die Großeltern und Urgroßeltern im Krieg, sowohl an der Front als auch in Sexten bzw. in den jeweiligen Notunterkünften in den Nachbargemeinden. Im Mittelpunkt des zweieinhalbstündigen Gesprächs stand das Schicksal der Zivilbevölkerung im Exil.
Von besonderer Wichtigkeit war die Frage, wie die Erinnerungen an den Ersten Weltkrieg in der Generation der Enkel und Urenkel bis heute gepflegt werden und wie die Erfahrungen des Krieges und der Nachkriegszeit den jungen Menschen heute vermittelt werden können. Weiters wurden die Kriegerfriedhöfe, Spielfilme zum Krieg, bestehende Museen, die Bedeutung des Ersten Weltkriegs für Tirol, die Vermittlung des Themas in den Südtiroler Schulen, seine Bedeutung für den Kulturtourismus und das Verhältnis zu den Nachbargemeinden im Comelico thematisiert.
Die fünf Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Fokusgruppe gaben einen Einblick darüber, wie die Erinnerungen an den Ersten Weltkrieg in der Familie, in der Schule und in der Öffentlichkeit in Sexten gepflegt wurden und werden. Sie erzählten Geschichten und Anekdoten über ihre Großeltern und Urgroßeltern. Ein weiteres Thema war die Frage der Aufarbeitung der traumatischen Ereignisse des Weltkriegs, die in der schwierigen Nachkriegszeit nur zum Teil erfolgen konnte und ohne öffentliche Reflexion und Rituale blieb.
Die Teilnehmenden zeigten differenzierte Sichtweisen auf die Zeit des Ersten Weltkriegs innerhalb der Sextner Bevölkerung auf. Gesprochen wurde zudem über die Veränderungen des Lebensalltags nach der Annexion Südtirols an Italien. Als Abschluss der Veranstaltung wurden unterschiedliche Formen der Geschichtsvermittlung diskutiert. Dabei ging es vor allem um die mediale Darstellung des Ersten Weltkriegs und die Ausarbeitung geeigneter didaktischer Unterlagen.

Regina Stauder (Lehrerin i.R.): „Bei mir zuhause ist weniger übers Kriegsgeschehen gesprochen worden als vielmehr über die Veränderungen im Alltag. Meine Ziehgroßmutter ist 1890 geboren und hat das alles miterlebt. Sie war eine Tante meines Vaters und hat viel erzählt. Vor dem Krieg kochte man nur Tiroler Knödel, nach dem Krieg gab’s plötzlich auch Polenta und Nudeln zu kaufen. Das hat sie als Erleichterung beim Kochen empfunden. Sie hat auch vom Weltkrieg erzählt. Der Großvater war sehr sparsam und hat als Zimmermann gut verdient. Er hatte dann genug Geld, um einen Hof zu kaufen, der in Konkurs geraten war. Aber er hat gezaudert und im Jahr danach hat er für dasselbe Geld nur noch eine Kuh bekommen.“1Fokusgruppengespräch, 20.11.2021, Sexten.

Christina Mair (Lehrerin): „Die Schulkinder haben sich sehr dafür interessiert, wie es zur Auswanderung gekommen ist. Das war eine Krisensituation. Die Menschen waren Bauern. Und bereits vorher gab es Versuche, die Bevölkerung zu evakuieren. Erst als die ersten Granaten eingeschlagen und mehrere Opfer zu beklagen waren, waren die Menschen bereit, das Tal zu verlassen. Die Kinder konnten gut nachfühlen, was passiert ist. Es brauchte den Befehl zur Evakuierung, dass die Leute das Allernotwendigste auf einen Karren geladen haben und losgezogen sind. Wir haben das in der Schule gespielt.“2Fokusgruppengespräch, 20.11.2021, Sexten.

Judith Villgrater (Gemeindereferentin für Kultur): „Mein Großvater war im Frontkämpferverein. Ich erinnere mich, dass jedes Ereignis zum Gedenken an die Frontkämpfer für ihn wichtig war. Die gut gepflegte Waldkapelle zeugt von dieser Zeit. Diese Männer haben allerhand mitgemacht und diese Kapelle geschätzt: ein Holzbauwerk in einem märchenhaften Wald. Man hat dort Schutz gesucht. Sie ist keinem speziellen Heiligen geweiht. In Sexten gab es drei Notkapellen, eine in Moos, eine in St. Veit und die Waldkapelle.“3Fokusgruppengespräch, 20.11.2021, Sexten.

Curti Covi (Museum Bunker in Toblach): „Es hat auch in Innichen Beschuss gegeben; hat die Großmutter erzählt. Das Ziel war die Bahnlinie. Der Hof, auf dem meine Großmutter aufgewachsen ist, befindet sich in einem toten Winkel, hinter einem Hügel. Sie sind dort in einen Stollen geflüchtet, wo sie sich verstecken konnten. Gleich nach dem Krieg hat man den Kriegerfriedhof bis in die 1930er-Jahre noch gut instandgehalten, auch die Kinder haben bei der Pflege geholfen.“4Fokusgruppengespräch, 20.11.2021, Sexten.

Maria Theresia Mair (Bäuerin): „Heute ist bei Jugendlichen die starke Beschäftigung mit den Medien und den sozialen Netzwerken zu beobachten, aber es gibt auch junge Menschen, die gerne in die Natur gehen. Es hängt von den Familien ab, was sie vermitteln. Fragen, wo kommen wir her, wo wollen wir hin, sind aktuell. Es gibt weniger Bereitschaft, freiwillige Arbeit zu übernehmen als vor Jahren; das ist ein Problem der Gegenwart. Bei meinen Kindern kann ich das auch beobachten. Die Tochter konzentriert sich aufs Studium, die Söhne, die in der Landwirtschaft beschäftigt sind, sind verwurzelter.“5Fokusgruppengespräch, 20.11.2021, Sexten.

Die Teilnehmenden an der Fokusgruppe waren: Regina Stauder, Christina Mair, Judith Villgrater, Curti Covi, Maria Theresia Mair. Thomas Benedikter, Susanne Elsen und Waltraud Kofler Engl als Moderatorinnen.

(TB)