In der Kriegszeit waren Religion und Glaube sowohl den Soldaten als auch der Zivilbevölkerung in Sexten eine große Stütze. Dies wird beispielsweise durch die große Wertschätzung deutlich, die der Waldkapelle in Sexten, einer Notkirche von 1917, zuteil wurde. Religion und Kirche ließen sich jedoch auch für Propagandazwecke und zur Unterstützung der Kriegsführung instrumentalisieren. Auf dem Dreizinnen-Plateau traten Pfarrer und Militärgeistliche wie Feldkurat Josef Hosp an der österreichischen und Don Pietro Zangrando an der italienischen Front überzeugt für die Ziele ihres jeweiligen Generalstabs ein und überzeugten die Soldaten, dass ihr Tun richtig sei und kein „sinnloses Gemetzel“, wie es Papst Benedikt XV. am 1. August 1917 formuliert hatte.
Don Pietro Zangrando (auch Don Piero genannt) ist 1878 in Perarolo (Provinz Belluno) geboren. Nach seiner Priesterweihe im Jahr 1903 wurde er bei Kriegsausbruch Militärgeistlicher und in dieser Funktion dem 7. Alpini-Regiment, dem Bataillon „Val Piave“ zugeteilt, wo er „il prete degli Alpini“ („Priester der Alpini“) genannt wurde. Für seine Verdienste verlieh man ihm die bronzene Tapferkeitsmedaille und begründete dies folgendermaßen: „Der Gefahr trotzend, begab er sich an die Kampflinie, um den Verwundeten Mut zu machen, die Toten aufzulesen und zu begraben – er bewies dabei sehr viel Mut und Opferbereitschaft. Toblinger Riedel, Sextenstein, 19. August 1915.“1Zorzi, Ettore. Don Pietro Zangrando. Roma, X Reggimento Alpini, 1940. Don Pietro wird im Tagebuch des Alpini-Soldaten Paolo Barzan mehrmals erwähnt, dem er durch seine patriotischen Predigten sowie seine Lobreden auf das Alpini-Korps in Erinnerung geblieben ist.
„Am 29. Juni, dem Fest der Apostel Petrus und Paulus, hielt Hochw. Don Pietro, Pfarrer aus Perarolo, die Heilige Messe, begleitet von der Musik des 50. Infanterieregiments. Als die Messe zu Ende war, spielte die Regimentsmusik die Königshymne, die Mameli-Hymne [italienische Nationalhymne], die Garibaldi-Hymne und andere patriotische Hymnen. Diese Zeremonie endete mit großer Begeisterung und dem Ruf ‚Viva il Re, Viva l’Italia‘ [‚Es lebe der König, es lebe Italien‘].“
„Am 6. August weihten wir einen von uns gebauten Unterstand ein. Unser Pfarrer zelebrierte links davon die Heilige Messe und hielt anschließend eine patriotische Rede voller Lob für alle Soldaten der 268. Alpini-Kompanie, die den berühmten Kampf am Monte Piana am 7. Juni überlebt hatten. In seiner Predigt sagte der Pfarrer, dass er sich an seine Kindheit erinnerte, als er unsere Alpini-Kompanien durch Perarolo ziehen sah, die er so oft bewundert hatte, ja er sagte sogar: Heute bin ich an ihrer Seite und sehr stolz und glücklich, hier bei ihnen sein zu können. Während all dieser Zeremonien donnerten die Kanonen ohne Unterlass weiter.“
„Heute haben wir unsere villetta [die Offiziersbaracke, deren Bau am 23. August begonnen worden war] eingeweiht. Beim San[k]tus feuerte unsere Kanone acht Schüsse ab. Am Ende der Messe hielt unser Pfarrer, also Don Pietro, eine wunderbare, äußerst patriotische Predigt. Ich dachte mir: Don Matteo ist hervorragend in seinen Predigten, aber unser Don Pietro, der schon Priester der Alpini genannt wird, ist nicht weniger gut. An diesem Tag offrierten uns unsere Offiziere eine Sonderration, also Polenta und Bac[c]alà [Stockfisch] und einen halben Liter Wein.“2Diario dell’alpino Paolo Barzan, ADN_ MG/T3, 29. Juni, 6. August, 12. September.
Die Glaubensgemeinschaften ließen sich im Krieg in vielen Ländern patriotisch-national instrumentalisieren und ihre Vertreter nahmen in Einzelfällen auch selbst am Kriegsgeschehen teil. Der erfahrene Bergsteiger Feldkurat Josef Hosp des Standschützen Baon Innsbruck I führte zu Kriegsbeginn zahlreiche Aufklärungspatrouillen in den Felsen und an den Berghängen des Dreizinnen-Plateaus durch und wirkte auch aktiv und selbstbewusst bei der militärischen Planung und Leitung für Aufstiegswege und Unterkunftsmöglichkeiten mit. Auf seine Initiative hin wurde am Gipfel des Toblinger Knotens eine Stellung für einen ständigen Beobachterposten errichtet. Ein Eintrag im Kriegstagebuch des Infanterieregiments 59 „Erzherzog Rainer“ berichtet über die Verwendung und den militärischen Einsatz des Feldkuraten: „Feldkurat Hosp unternimmt mit einigen unserer Leute um 8h früh einen Aufstieg auf den Toblingerknoten von der Nordseite aus, um zu rekognoszieren, ob es nicht möglich wäre einen Artilleriebeobachtungsposten und eine Inf. Patrouille auf der Spitze aufzustellen. […] Herr Feldkurat Hosp, ein ausgezeichneter Kletterer unterzieht sich um 1h nachts nochmals der Kletterei auf den Toblingerknoten und zwar diesmal von der Ostseite von unserer M.G. Stellung aus. Der Aufstieg ist von dort aus weit leichter und auch die Aufstellung eines Beobachters kann dort auf dem Ostgipfel, wenn die nötigen Vorkehrungen getroffen, durchgeführt werden. Feldkurat Hosp erstattet selbst dem Grenzunterabschnittskmdo. über seinen wohlgelungenen Aufstieg Bericht.“3Kriegsarchiv Wien, Kriegstagebuch des Infanterieregiments 59, Eintrag vom 24. November 1915, S. 102f.
Die eigentliche Aufgabe des Feldkuraten war es, regelmäßig, an besonderen Feiertagen und bei Besuch der Stellungen durch höhere Offizieren der Armeeleitung Feldmessen abzuhalten. Auch die feierliche Einweihung des Soldatenfriedhofes Zirbenboden wurde von ihm zelebriert. Wie das Beispiel des Feldkuraten Hosp zeigt, übernahmen einige Geistliche mehr als nur die seelsorgerischen Pflichten für die Soldaten, sondern griffen freiwillig und aktiv in das Kriegsgeschehen ein und nahmen durch ihr Handeln auch den Tod anderer Menschen in Kauf.
Kriegsarchiv Wien, Kriegstagebuch des Infanterieregiments 59, Eintrag vom 24. November 1915, S. 102f und 26. Februar 1916, S. 173.
Zorzi, Ettore.(1940). Don Pietro Zangrando. Roma: X Reggimento Alpini.
Diario dell’alpino Paolo Barzan, ADN_ MG/T3, Museo Diaristico Nazionale, Pieve Santo Stefano.
- Fotos
- Dokumente