Erinnerungen an die Zerstörung und Evakuierung von Sexten 1915
Im Juli 1915 begann der Beschuss von Moos und Sexten durch die italienische Artillerie. Da die Zivilbevölkerung um ihr Leben fürchten musste, ordnete das Abschnittskommando die Räumung des ganzen Tals innerhalb 5. August an. Am Nachmittag vor der Evakuierung hielt Pfarrer Schwaighofer in der Pfarrkirche eine ergreifende Andacht, bei der für die baldige Rückkehr gebetet wurde. Danach bereiteten mehrere hundert Greise, Frauen und Kinder den Aufbruch vor und packten nur das Allernotwendigste an Kleidern und Wäsche auf Handwagen. Bei Einbruch der Dunkelheit zogen sie talauswärts. Frauen trugen die Kleinkinder auf den Armen, die größeren Kinder saßen oder schliefen auf den Karren. Wertvolleres hatten manche vorher im Garten oder im Keller vergraben. Die Flüchtlinge fanden Unterkunft bei Verwandten oder Bekannten in der Umgebung oder wurden vom Militär bei Pustertaler Familien untergebracht. Einige kamen sogar bis nach Nordtirol. Die Gemeindeverwaltung amtierte in Innichen, Bürgermeister und Pfarrer wurden in Niederrasen einquartiert.
Die folgenden Aussagen sind den Interviews mit Sextnerinnen und Sextnern, die im Rahmen des Projektes geführt wurden, entnommen.
Paula Egarter: „Wir hatten einen großen Heu-Leiterwagen. Dort sind die wichtigsten Sachen aufgeladen worden: Wäsche, Betten, Gewand und etwas Proviant. Das jüngste Kind war erst acht Monate alt. Der Leiterwagen ist von einem Ochsen bis Innichen gezogen worden, dann ging es mit dem Zug weiter. Von Innichen über den Brenner bis Kitzbühel, das war ein weiter Weg damals.“1Gespräch mit Susanne Elsen und Alexandra Budabin, 16.7.2021, Sexten
Georg (Jörg) Lanzinger: „Meine Großeltern und Eltern sind nach Vierschach gezogen, weil dort Verwandte gelebt haben. Meine Großmutter stammte aus Tilliach. Sie hatten dort einen Hof, wo meine Großeltern und ihre Kinder, also auch mein Vater, dann untergekommen sind. Andere sind nach Gsies und nach Fulpmes in Nordtirol gekommen. Sie dachten, um Weihnachten wird der Krieg vorbei sein und dann können alle wieder zurück.“2Gespräch mit Thomas Benedikter, 8.7.2021, Sexten
Albert Tschurtschenthaler: „Die Häuser in Sexten sind teilweise abgebrannt und teilweise geräumt worden. Die Häuser der Vorfahren meiner Mutter oben auf dem Mitterberg sind abgetragen worden, weil sie zu nahe bei der Festung standen. Das war fürs österreichische Militär strategisch ungünstig. Unsere Häuser hier in Moos sind beim Beschuss 1915 in Brand geraten und bis zur Kirche hinunter ist alles abgebrannt. Zuerst ist Moos evakuiert worden, dann St. Veit. Dann haben sie das Hotel Post beschossen mit einigen Toten. Unser Haus ist nach dem Beschuss abgebrannt. In Moos waren die minderen Häuser, in St. Veit gab es bessere Häuser. Im Nachhinein war es besser, dass es abgebrannt ist. Dieses Haus war nämlich eines für drei Parteien und eine nur sehr primitive Hütte. Da waren die Innerkramer, die Außerkramer und der Zigori. Das alles war zusammengebaut.“3Gespräch mit Thomas Benedikter, 17.6.2021, Sexten
Rudolf Holzer: „Es gab keine Lagerflüchtlinge. Landeshauptmann Josef Schraffl hatte auf Wunsch der Sextner einer Evakuierung der Bevölkerung 1914 nicht zugestimmt. Erst nach dem Granatenbeschuss entschied die Militärverwaltung, dass die Sextner in der Nacht vom 3. auf den 4. August das Dorf verlassen müssen. Die Bevölkerung von Moos hatte bereits am 1. Juli das Dorf verlassen müssen. Die Familien mussten sich selbst um eine Unterkunft kümmern und schauen, wie sie zurechtkommen. Die meisten haben in Innichen, Vierschach, Winnebach und Toblach eine Unterkunft gefunden. Es gab keine Notunterkünfte oder Sammellager. Darauf war die Heeresleitung nicht vorbereitet.“4Gespräch mit Thomas Benedikter, 29.4.2021, Sexten