Italienische Kriegsgefangene hatten an der Dreizinnenfront einen vergleichsweise höheren Stellenwert als russische und serbische Gefangene, da sie genaue Informationen zur Lage und Situation der feindlichen Stellungen und Positionen geben konnten. Sie wurden deshalb mehreren Verhören unterzogen, strengstens bewacht und in Gefangenenlager ins Hinterland transportiert. Ein solcher Vorfall wird im Tagebuch des Infanterieregiments 59 „Erzherzog Rainer“ erwähnt, wo bei einem Patrouillengang vom 21. Februar 1916 italienische Gefangene aufgegriffen wurden: „Sie [die Patrouille Anm. d. A.] rückte daraufhin weiter vor und machte hinter dem Felsen bis wohin in der Nacht die Italiener gekommen waren, 2 Gefangene, welche halb erfroren waren. Dieselben haben die ganze vergangene Nacht und den Tag hinter diesem Felsen verbracht. Sie gehören dem 5. Baon des 8. Bersaglieriregimentes, 2. Kompagnie an. Sie geben an, dass nur 15 Mann unter Kommando eines Leutnants waren, welche als Rekogniszierungspatrouille von der Forcella Cengia [Zwölferscharte] gegen unsere Stellung vorgeschickt wurden. Anfang März soll angeblich eine Offensive der Italiener stattfinden. Die Patrouille nahm noch den Toten die Gewehre ab und die Papiere und ging dann zurück […] Die Gefangenen wurden noch am Abend einvernommen und nach Wildbad transportiert.“1Kriegsarchiv Wien, Kriegstagebuch des Infanterieregiments 59, Eintrag vom 21. Februar 1916, S. 170f.
Den Soldaten der k.u.k. Armee wurde eingeschworen, sich bei Gefangennahme nicht durch ihre Aussagen, seien sie noch so unverfänglich, unwissentlich den eigenen Truppen zu schaden, wie dies anscheinend laut einem Bericht vom 16. August 1916 schon öfters vorgekommen war. Ein Befehl über die „Schweigepflicht für Gefangene“ lautete wie folgt: „Daher haben in Gefangenschaft geratene Soldaten auf alle beim Verhör an sie gestellten Fragen entweder die Auskunft zu verweigern oder dieselben zumindest mit der konsequenten Erwiderung: ‚Ich weiß nicht.‘ zu beantworten. Ein derartiges mannhaftes Auftreten wird auch dem Feinde Achtung einflößen.“2Tiroler Landesarchiv, Standschützen Baon Innsbruck I 1914-1918, Faszikel V, K.u.k. Korpskommando G.d.J.v. Roth, Nr. 2516/7, Schweigepflicht für Gefangene (Abschrift), Feldpost 514, 16. August 1916. Sollten österreichisch-ungarische Soldaten in der Kriegsgefangenschaft trotzdem diesem Befehl zuwiderhandeln, drohten ihnen harte Strafen: „Die Mannschaft ist überdies zu belehren, daß unserem Nachrichtendienst Mittel und Wege zu Gebote stehen, um über ihr Benehmen in der Gefangenschaft eingehendst unterrichtet zu werden; Daß daher allen jenen, welche dem Feinde durch ihre Aussagen oder auf andere Weise Vorschub leisten, nach dem Kriege die schwersten Strafen drohen.“3Tiroler Landesarchiv, Standschützen Baon Innsbruck I 1914-1918, Faszikel V, K.u.k. Korpskommando G.d.J.v. Roth, Nr. 2516/7, Schweigepflicht für Gefangene (Abschrift), Feldpost 514, 16. August 1916.
Persönliche Aufzeichnungen wie Tagebücher, die bei Gefangennahme einen Einblick in die Situation und Lage der eigenen Truppen geben konnten, waren strengstens verboten mit in die Frontstellungen zu nehmen oder bei Patrouillen mitzuführen. Auch die italienische Armeeführung drohte den eigenen Soldaten mit schweren Strafen, sollten in Gefangenschaft kriegswichtige Informationen an die gegnerische Seite gelangen. Ein junger italienischer Infanterist, der sich in österreichischer Gefangenschaft befand, wurde in Abwesenheit von einem Militärgericht zu 15 Jahren Haft verurteilt, da er durch seine Tagebuchaufzeichnungen wesentliche Informationen preisgegeben hatte. Die Urteilsverkündung lautete folgendermaßen: „Am 1. Oktober 1915 veröffentlichten die ‚Innsbrucker Nachrichten‘ einen langen Artikel mit dem Titel Aus dem Tagebuch eines ital. Gefangenen vom IR 91, der ursprünglich aus der ‚Tiroler Soldaten-Zeitung‘ stammte. Die Ausführungen sollten laut Zeitung [in der deutschen Fassung wurde hier der deutsche Originalwortlaut eingefügt]‚ einen interessanten Einblick in gewisse Zustände und Stimmungen im italienischen Heere gewähren‘. […] Erwähnenswert ist auch, dass letzterer mit weiteren Soldaten an einer nächtlichen Erkundung der Zugangswege zur Cima Frugnoni teilnahm – einer Erkundung, die er in seinem an dieser Stelle endenden Tagebuch genau beschreibt. Wenn man nun bedenkt, dass von den Soldaten der Patrouille nur drei zurückkehrten und vielleicht an der Kampfhandlung vom 6. Oktober bei der Cima Frugnoni teilnahmen, bei der T. gefangengenommen wurde, so ist offensichtlich, dass er tatsächlich der Verfasser des veröffentlichten Tagebuches war. […] Wenn also ein Soldat während der Teilnahme an einer Kampfhandlung ohne triftigen Grund Papiere oder Dokumente mit sich führt, aus denen die politische oder militärische Situation eines Staates ersichtlich wird, und diese Papiere aufgrund der Gefangenschaft in die Gewalt des Feindes gelangen, der sie dann für eigene Zwecke verwendet, hat sich der Soldat wegen Verstoßes gegen Art. 74 des italienischen Militärstrafgesetzbuches [Codice penale per l’esercito] zu verantworten, weil er dem Feind durch seine eigene tadelnswerte Unvorsichtigkeit Informationen geliefert hat, die dem Staat schaden.“4Archivio Centrale dello Stato, Tribunali Militari, Tribunale Supremo Militare, Atti diversi, b. condanne gravi, sent. 41.
Kriegsarchiv Wien, Kriegstagebuch des Infanterieregiments 59, Eintrag vom 21. Februar 1916, S. 170f.
Tiroler Landesarchiv, Standschützen Baon Innsbruck I 1914-1918, Faszikel V, K.u.k. Korpskommando G.d.J.v. Roth, Nr. 2516/7, Schweigepflicht für Gefangene (Abschrift), Feldpost 514, 16. August 1916.
Archivio Centrale dello Stato, Tribunali Militari, Tribunale Supremo Militare, Atti diversi, b. condanne gravi, sent. 41.
Behandlung der Kriegsgefangenen
Der Umgang mit Kriegsgefangenen wurde bereits in der 1899 bzw. 1907 verabschiedeten Haager Landkriegsordnung festgelegt: Gefangene Soldaten sollten nicht mehr als Feinde betrachtet, sondern „mit Menschlichkeit“ behandelt werden. Die Gefangenen durften zwar als Arbeitskräfte eingesetzt werden, jedoch nicht für solche Arbeiten herangezogen werden, die in direkter Beziehung „zu den Kriegsunternehmungen“ standen.5Abkommen, betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs [Haager Landkriegsordnung], 18. Oktober 1907. Während des Krieges war der Bedarf an Arbeitskräften in fast allen kriegführenden Staaten hoch und konnte nicht mehr allein durch die eigenen Truppen und die Zivilbevölkerung gedeckt werden. Die international verbindlichen Regeln zum Schutz der Kriegsgefangenen wurden daher weitgehend unterlaufen. An der Dolomitenfront kamen vermehrt auch russische und serbische Kriegsgefangene von der Ostfront zum Einsatz. Im Lager Schusterhütte der Dreizinnenfront waren Teile von Kriegsgefangenenabteilungen untergebracht und wurden für verschiedene Arbeiten herangezogen, wie ein Bericht vom 12. November 1916 anschaulich beschreibt: „Der hier verbliebene Teil der Abteilung 41 a besteht heute noch aus 101 Mann. Von dieser Zahl sind schon seit langer Zeit 18 intensiv im Lager selbst beschäftigt (Köche, Professionisten etc. bei den Russen selbst, Bade u[nd] Entlausungsanstalt samt Zubehör und Marodenhaus). Die verbleibenden 83 Männer sind bisher für die Holzarbeit (Brennholzaufbereitung für den gesamten Kampfabschnitt) und für Trägerdienste (Proviant- und Holztransport in die Flügelstellungen) verwendet worden.“6Tiroler Landesarchiv, Standschützen Baon Innsbruck I 1914-1918, Faszikel IV, Lagerkommando Schusterhütte Nr. 1474, Verwendung der bei der Schusterhütte bequartierten Russen, Feldpost 226, 12. November 1916. Es wurde beklagt, dass seit einigen Wochen 40 Gefangene für den Bau der Drahtseilbahn im Innerfeldtal eingesetzt wurden; diese wichtigen Kräfte würden bei anderen Arbeiten fehlen und die Versorgung der Stellungen darunter leiden. Das Beispiel zeigt, von welch kriegswichtiger Bedeutung die Gefangenen und ihr Einsatz an der Front mittlerweile geworden waren. Deshalb war es auch notwendig, sich diese Arbeitskräfte längerfristig und wenn nötig auch mit Gewalt zu erhalten. In einem Rayonskommandobefehl wurde ein Vorfall gemeldet, bei welchem serbische Kriegsgefangene einen Munitionstransport in die Höhenstellungen sabotierten und die Eskorte sowie der kommandierende Offizier „diesem Treiben hilflos gegenüber“ standen. Es folgte deshalb der Befehl von Feldmarschallleutnant Ludwig Goiginger: „Es wird nochmals angeordnet, daß K[rie]g[sgefangene] bei geringster Weigerung auf der Stelle niederzumachen sind. Alle Eskortmannschaften sind eingehendst darüber zu belehren. Die K[om]m[an]d[an]ten von K[rie]g[sgefangenen]-Abteilungen haben ihren vollen Einfluß geltend zu machen, daß strengste Zucht herrsche.“7Tiroler Landesarchiv, Standschützen Baon Innsbruck I 1914-1918, Faszikel V, Rayons- zugleich Divisions-Kommando-Befehl Nr. 66, Feldpost 601, 24. März 1916. Damit sich die eigenen Truppen nicht zu zögerlich bei der gewaltsamen Behandlung der Kriegsgefangenen zeigten, wurden Beispiele grausamer Behandlung österreichischer Soldaten in serbischer Kriegsgefangenschaft angeführt – ein gängiges Propagandamittel, den Gegner der Unmenschlichkeit und Barbarei zu bezichtigen und die eigenen Methoden zu rechtfertigen: „Das AOK. [Armeeoberkommando, Anm. d. A.] sieht sich daher veranlaßt anzuordnen, bei Behandlung der im Bereiche der Armee im Felde verwendeten serbischen K[rie]g[sge]f[angenen] – A.A. im Rahmen der geltenden Gesetze drakonische Strenge zu handhaben und jede Rücksicht auf Humanität beiseite zu lassen. Die Leute sind mit den schärfsten Mitteln – event. körperlichen Strafen – zur Arbeit anzuhalten.“8Tiroler Landesarchiv, Standschützen Baon Innsbruck I 1914-1918, Faszikel V, Rayons- zugleich Divisions-Kommando-Befehl Nr. 66, Feldpost 601, 24. März 1916. Bestraft wurden ebenso die eigenen Truppen, welche diesem Befehl nicht nachkamen. Die völkerrechtswidrigen Handlungen und Anordnungen zeigen sich in diesem Befehl von oberster Stelle offen : „Jeder Mann muß wissen, daß Humanität solchen Feinden gegenüber Schwäche bedeutet. Desertionen von K[rie]g[sge]f[angenen] müssen endlich aufhören. Furcht vor den Folgen einer Ergreifung soll sie abschrecken. Daher ist niemals zu zögern, Exempel zu statuieren.“9Tiroler Landesarchiv, Standschützen Baon Innsbruck I 1914-1918, Faszikel V, Rayons- zugleich Divisions-Kommando-Befehl Nr. 66, Feldpost 601, 24. März 1916.
Abkommen, betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs [Haager Landkriegsordnung], 18. Oktober 1907.
Tiroler Landesarchiv, Standschützen Baon Innsbruck I 1914-1918, Faszikel IV, Lagerkommando Schusterhütte Nr. 1474, Verwendung der bei der Schusterhütte bequartierten Russen, Feldpost 226, 12. November 1916.
Tiroler Landesarchiv, Standschützen Baon Innsbruck I 1914-1918, Faszikel V, Rayons- zugleich Divisions-Kommando-Befehl Nr. 66, Feldpost 601, 24. März 1916.
- Fotos
- Dokumente