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In die Landschaft eingeschrieben
- Kriegslandschaft
- Infrastruktur des Krieges
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Zwei Fronten
- Winter an der Dreizinnenfront
- Soldatenleben
- Medizinische Versorgung, Religiöse Rituale, Friedhöfe
- Persönlichkeiten
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Heimatfront und Erinnerung
- Zerstörung und Flucht
- Rückkehr und Wiederaufbau
- Stimmen aus Sexten
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An einer Hochgebirgsfront wie den Sextner Dolomiten hatten die Soldaten vor allem in den kalten Wintermonaten jeden Tag beträchtliche Herausforderungen zu bewältigen. Lawinen, Frost und fehlender Nachschub waren allen, die auf dem Dreizinnenplateau im Einsatz waren, bestens vertraut. Aber auch in den Sommermonaten war die Situation nicht unproblematisch, denn statt Schnee bestimmten nun Artillerie- und Gewehrfeuer den Alltag der Soldaten, auch Maschinengewehre waren im Einsatz. Bisweilen wurden die Lebensumstände unerträglich und manche missachteten die Befehle ihrer Vorgesetzten, worauf die Militärjustiz intervenierte und oft mit äußerster Härte durchgriff.
Der Glaube konnte den Soldaten in einer Zeit, in der unzählige ihrer Kameraden starben, Trost spenden, doch die Zeitzeugnisse lassen auch die Kehrseite der Medaille erkennen: Religion wird von der Militärpropaganda vereinnahmt, ja ihr völlig untergeordnet – einer Propaganda, welche die Gerechtigkeit des Krieges predigte. (GF) -
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Sexten erlebte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts den Aufstieg zu einem beliebten und gut besuchten Fremdenverkehrsort, was dem Dorf einen gewissen Wohlstand brachte. Die unvergleichliche Landschaft der Sextner Dolomiten und die Möglichkeit, die Gipfel mit einheimischen, schon bald weit über die Grenzen hinaus bekannten Bergführern zu besteigen, lockten viele Bergbegeisterte aus aller Herren Ländern an. Von jeher war Sexten auch Grenzort zum italienischen Königreich und deshalb in militärische Strukturen und Pläne für einen möglichen Kriegsfall eingebettet. Die Sperre Sexten mit ihren Festungen Haideck und Mitterberg sollte einen italienischen Vormarsch und Durchbruch in das Pustertal verhindern. Errichtet in den 1880er Jahren waren beide Festungen zu Kriegsausbruch zwar bereits veraltet und einem Beschuss moderner Artillerie kaum gewachsen, dennoch wurden sie, wenn auch nur zum Schein, bei Kriegsausbruch besetzt. Das Leben in einem plötzlichen Frontgebiet war für die Sextner nicht einfach. Militäreinquartierungen und Requirierungen in Sexten und Moos belasteten die Beziehungen zwischen der Bevölkerung und den Forderungen des Militärs. In diesem Abschnitt werden die Ergebnisse der historisch-archivalischen Erforschung der Kriegsereignisse und Erlebnisse der Sextner Bevölkerung während der Kriegsjahre und der sozio-kulturellen Erforschung der Erinnerungskulturen an den Ersten Weltkrieg bei den Nachkommen und heutigen Bewohnern von Sexten verwoben, wobei die lokalen Gemeinschaften in die Koproduktion eines gemeinsamen Erbes einbezogen wurden. (SK)
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Als im Juli 1915 die ersten italienischen Granaten auf das Dorf fielen, wurde schnell klar, dass sich die Sextner in ihrer Heimat nicht mehr sicher fühlen konnten. Anfang August kam der Befehl des Militärs, das Dorf in einer Nacht-und-Nebel-Aktion zu evakuieren. Die Männer waren zu diesem Zeitpunkt zu einem großen Teil an der Front; es waren Frauen, Kinder und alte Menschen, die das Notwendigste zusammenpacken und das Dorf verlassen mussten. Viele suchten Unterschlupf bei Verwandten und Freunden in den Nachbardörfern in der festen Überzeugung, schon bald wieder in die eigenen Häuser und Wohnungen zurückkehren zu dürfen. Dass dies längere Zeit nicht möglich sein dürfte, wurde den meisten wohl erst am 12. August klar, als italienische Brandgranaten das Dorf trafen und mehrere Gebäude, darunter auch die Pfarrkirche, ein Raub der Flammen wurden. Einige wenige Wertsachen konnten von Soldaten aus der Kirche gerettet werden, doch viele Sextner verloren ihr gesamtes Hab und Gut. Nur wenige Flüchtlinge konnten sich während des Krieges ein Heim und ein geregeltes Einkommen sichern. Wer sein Erspartes bald aufgebraucht hatte und nicht in der Lage war für sich und seine Angehörigen zu sorgen, musste sich an die staatlichen Behörden wenden. Unzählige Ansuchen für Flüchtlingsunterstützungen wurden an die österreichischen Behörden in Lienz und Innsbruck gesandt; sie dokumentieren sehr anschaulich das schwere Schicksal der geflüchteten Sextner im Exil. Dank der Bekannt- und Beliebtheit des Touristenortes, vor allem in der Wiener hohen Gesellschaft, konnten mehrere erfolgreiche Spenden- und Hilfsaktionen durchgeführt werden, welche den Sextnern zugutekamen und zumindest über die schwerste Zeit hinweghalfen. Doch bei vielen war der Wunsch groß, so bald wie möglich wieder in das eigene Heimatdorf zurückzukehren. (SK)
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Die k.u.k. Militärführung erlaubte allerdings erst im Spätsommer 1917 einzelnen Bauern die Rückkehr in die Fraktion Außerberg, um die dringend benötigte Ernte einzuholen. Begleitet wurden diese Familien vom Pfarrer und Seelsorger der Gemeinde Heinrich Schwaighofer, der in einer kleinen neu errichteten Waldkapelle die Heilige Messe las. Erst nachdem sich der Frontverlauf 1917 verändert hatte, kehrten viele Sextner im Frühjahr 1918 wieder in ihr Dorf zurück und begannen mit ersten Aufräum- und Wiederherstellungsarbeiten. Die Not der Menschen, durch Teuerung und Lebensmittelknappheit noch verschärft, war jedoch im letzten Kriegsjahr groß. Einige Familien sahen sich gezwungen, ihre Kinder zunächst bei Bauern in anderen Gemeinden unterzubringen, da sie kaum das Nötigste für sich selbst auftreiben konnten. Der große Wiederaufbau des Dorfes konnte erst beginnen, als Sexten dem italienischen Staat angegliedert wurde und die Finanzierung der Baukosten gesichert war. 1923 schließlich, acht Jahre nach der Zerstörung und der Flucht der Bevölkerung, wurde der Abschluss der Wiederaufbauarbeiten mit einem Fest gefeiert. Man blickte auf die wohl bislang schwierigste Zeit in der Dorfgeschichte zurück. In den folgenden Jahren setzte man alles daran, Sexten wieder zu einem beliebten Anziehungsort für Touristen aus Nah und Fern zu machen. (SK)
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Pfade, Saum- und Karrenwege, Schützengräben, Artillerie- und Maschinengewehrstellungen, Kavernen, Baracken, Friedhöfe; eine umfassende zu jener Zeit errichtete Infrastruktur hat ihre Spuren auf dem Dreizinnenplateau hinterlassen und es grundlegend verändert. Diese ist eng mit der Landschaft verwoben, fügt sich in diese ein, prägt sie und ist auch mehr als 100 Jahre nach dem Krieg noch sichtbar.
Sowohl auf österreichischer als auch auf italienischer Seite bestand die Infrastruktur des Krieges aus drei Hauptlinien: den vorgeschobenen Stellungen (die immer als erstes auf die gegnerische Front trafen, sie konnten allerdings auch eine Verteidigungsfunktion haben, so etwa der Sextenstein und der Toblinger Knoten), den Hauptwiderstandslinien (der eigentlichen Front mit ihren Verteidigungssystemen, so etwa der Schwabenalpenkopf oder der Paternsattel) und den rückwärtigen Stellungen (dem Etappengebiet mit dem gesamten logistischen Apparat). Aufgrund des unebenen Geländes und der großen Entfernungen waren bisweilen auch die Verbindungen entlang der Front selbst problematisch, vor allem in den Wintermonaten. Deshalb wurden Telefon- und Telegrafenleitungen, optische Kommunikationssysteme sowie leistungsfähige Motor- und Handseilbahnen für den Materialtransport eingerichtet. Nachts wurde der Landstreifen zwischen den beiden Fronten von Scheinwerfern (Projektoren wie Reflektoren) beleuchtet, wodurch Überraschungsangriffe verhindert werden sollten. Kanonen-, Haubitzen- und Mörserfeuer, die die charakteristischen Krater in die Landschaft rissen, bestimmten den Alltag der Soldaten. (GF) -
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Krankheiten, Verwundungen und Todesfälle prägten den Alltag an beiden Fronten. Der Hochgebirgskrieg erforderte für die Versorgung der Verletzten und Kranken einen extrem hohen logistischen und materiellen Aufwand. Vor Ort waren lediglich Erste-Hilfe-Stationen eingerichtet worden, nicht zuletzt um die Verletzten transportfähig zu machen. Besser ausgestattete Krankenstationen befanden sich erst in den Tälern, Schwerverletzte mussten in die bisweilen weit entfernten Militärkrankenhäuser verlegt werden. Neben historischen Fotografien der medizinischen Strukturen berichten Memoiren und Biografien von Ärzten, die an der Front tätig waren oder diese besuchten, von den Zuständen.
Um die Härten des Krieges zu ertragen, nahm die Religion an der Front einen hohen Stellenwert ein. Während sich die Religiosität der einzelnen Soldaten nur schwer bzw. lediglich anhand von Tagebucheintragungen und persönlichen Gegenständen nachweisen lässt, sind die offiziellen Zeremonien hingegen durch Fotos, Zeichnungen und schriftliche Quellen gut dokumentiert. Sie wurden häufig für Propagandazwecke und zur Unterstützung des Krieges instrumentalisiert. Pfarrer und Kapläne, wie der österreichische Feldkurat Josef Hosp und der italienische Priester Don Pietro Zangrando, unterstützten die Anliegen ihres jeweiligen Generalstabs mit Überzeugung; Religion und Patriotismus waren an der Front eng miteinander verknüpft.
Auf Anweisung des Generalstabs wurden Friedhöfe für die Gefallenen beider Fronten errichtet. Von den einstigen Notfriedhöfen in unmittelbarer Nähe der Gebirgsfront haben sich jedoch kaum sichtbare Spuren erhalten. Für die österreichische Front sind dank Fotografien der Zeit die Friedhöfe Toblingerdörfl und Zirbenboden gut dokumentiert. In der Zwischenkriegszeit wurden die sterblichen Überreste der Soldaten exhumiert und nicht selten aus ideologisch-politischen Gründen in die großen Gefallenen-Friedhöfe, Beinhäuser oder in die Dorffriedhöfe umgebettet. (GF, SK) -
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Die Landschaft des Kriegs, auf das sich das Forschungsprojekt „In die Landschaft eingeschrieben“ konzentriert, ist jene Dolomitenlandschaft, in der militärische Bauten und Infrastrukturen errichtet wurden und die seither davon geprägt ist. Aus naturwissenschaftlicher Sicht ist ein Bericht des 1. italienischen Armeekorps aus dem Jahr 1917 besonders aussagekräftig „Das hier behandelte Gebiet ist Teil der Dolomiten, deren östliches Ende es darstellt, und offenbart sehr deutlich die Charakteristika ihrer Entstehungszeit, der Trias, mit den entsprechenden lokalen tektonischen Störungen […]. Erosionsphänomene haben auf den Dolomit, Grundbestandteil des hiesigen Gesteins, eingewirkt und unregelmäßige und steile Hänge entstehen lassen, die von tiefen Rinnen durchzogen sind. Ein typisches Beispiel für die Intensität dieser Erosion sind die Drei Zinnen; dort, wo sie am stärksten war, hat sie Schiefer und Sandstein freigelegt.“
Der detaillierte Bericht geht auch auf die nicht einfach zu erfassende Beschaffenheit der Wasserläufe ein: „Die Region ist aus orografischer und daher in weiterer Folge auch aus hydrografischer Sicht komplex, und es ist erwähnenswert, dass es hier auf relativ kleinem Gebiet Wasserläufe gibt, die in verschiedene und entgegengesetzte Richtungen fließen. So fließen etwa der Rio Marzon, der Rio Cengia und der Rio Giralba generell von Norden nach Süden, der Bacher Bach hingegen von Süden nach Norden; auch verläuft der Bodenbach von Westen nach Osten, die Schwarze Rienz jedoch von Osten nach Westen.“ Es folgen Ausführungen über das Klima mit Angabe der tiefsten Wintertemperaturen, welche auf bis zu −30° sinken können, sowie Einblicke in die Vegetation, den Nadelwald, Latschenkiefer und Rhododendron umfasst.1Monografie del I Corpo d’Armata – Genio – Sistemazione difensiva, AUSSME_B1_110D_23°.
Eine vielschichtige Naturlandschaft, die den Hunderten von Soldaten, die sich 29 Monate, sommers wie winters im Kampf gegenüberstanden, den Alltag nicht leicht machte. (GF) -
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Für die Soldaten auf dem Drei-Zinnen-Plateau waren die Kriegswinter lang und hart. Schnee fiel von Oktober bis April und blieb auf den Gipfeln und an schattigen Orten sogar bis Juni liegen. Die Temperaturen sanken in der Nacht oft auf -30°C und blieben selbst tagsüber häufig unter dem Gefrierpunkt.
Extreme Kälte und Lawinen wurden bald vertraute Gefahren. Um den Soldaten das Überleben unter diesen Bedingungen zu erleichtern, versorgten sie die Generalstäbe beider Fronten mit entsprechenden Ausrüstungsgegenständen und detaillierten Anweisungen. Jeder Soldat verfügte über eine individuelle doppelte Garnitur an Wollkleidung und drei schwere Decken. Die Truppen in den Schützengräben erhielten in der Regel auch Pelzmäntel und -stiefel, Schnee-Überschuhe, Sturmhauben, Strumpfhosen, Socken, wasserdichte Kleidung und Schlafsäcke. Die Materialien gelangten jedoch nicht immer bis an die Front. Gegen Erfrierungen der Füße wurde antioxidierendes Fett zum Einschmieren verteilt. Um der Lawinengefahr vorzubeugen und Schäden zu begrenzen, standen den Offizieren Karten zur Verfügung, in denen gefährdete Stellen angemerkt waren. Trotzdem forderte der Winter an beiden Fronten Hunderte von Opfern.
Im Laufe der Zeit begannen sich beide Seiten damit zu beschäftigen, wie sie die winterlichen Bedingungen militärisch zu ihrem Vorteil nutzen könnten. Der österreichisch-ungarische Angriff auf den Sextenstein vom 21. April 1917 ist ein deutliches Beispiel dafür; die Annäherung an die italienischen Linien erfolgte durch einen mehrere hundert Meter langen Schnellstollen, der es ermöglichte, die Wachposten zu überraschen und die Stellung vorübergehend einzunehmen. Die Einsätze erforderten zudem eine spezialisierte Ausbildung zur korrekten Verwendung der Winterausrüstung: Skier waren insbesondere für die Tarn- und Nahkampfangriffe, Schlitten, die oft von Hunden gezogen wurden für den Materialtransport wichtig. (GF) -
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